Aus "Kunst & Kultur":
Datenschatten im Sauerteig
"Korrespondenzen - Literatur, Kunst und Wissenschaft im Gespräch"
Von Gerd Hergen Lübben

Nein, noch nicht anfangen, erst die Tonhöhe noch mal prüfen, bitte, noch nicht die Begrüßung, hallo Ü-Wagen, hören Sie mich, ja, und bitte, nicht, können Sie mich verstehn, nicht vom Publikum aus beteiligen, was hier gesprochen wird, soll ja später gesendet werden, danke! -

So, oder ähnlich, beginnt der Moderator, der Rundfunkmensch, seinen Job. Zunächst das Publikum, als Geräuschkulisse, bändigen. Atmen, Rascheln, Hüsteln, Scharren, Tuscheln, Lachen, Klatschen - Leben zeitigt ein gewisses Rauschen. Kein Problem für die Technik. Dann die Eröffnungsworte als Probelauf für den Bandmitschnitt, und endlich: Das relativ ruhig gestellte, real anwesende Publikum nimmt die vorn auf dem Podium sich präsentierenden Dialog-Beteiligten wahr, sieht deren Gebärdenspiel und hört, live-gleichzeitig quasi vorab "gleichgeschaltet", die Stimmen der Gesprächführenden, die, "mitgeschnitten" und "später" eben, vom Rundfunk gesendet werden sollen, "abgeschnitten" von ihren hernach anderweitig präsenten Körpern, eingeschaltet womöglich sommerabends in der Gartenlaube, angereichert etwa mit dazwischengeschnittenen Musikbeispielen - ein bißchen Reggae, ein Stück weit "Siegfrieds Liebeserklärung" von RICHARD WAGNER, wegen der zu demonstrierenden unterschiedlichen Stimmenspeicherungstechniken vielleicht, "Direkt-Pressung" oder "Studio-Mix"? Ebenso möchte sich Unliebsam-Nichtsendefähiges rausschneiden lassen. -

Wie nun, sonst einsam und, laut Moderator-Lauda, gleichsam "mit Gesang" und "con brio" Schreibende kommen, hier und jetzt und dann und wann, hörbar zu Wort, ohne freilich beim sichtbaren Reden von der eigenen Leibhaftigkeit absehen zu können, und wohl auch, talkshowhaft engagiert, sich der eigentlichen "Bestimmung" für eine Verarbeitung über Aufnahme- und Beschallungsgeräte kaum "automatisch" bewußt, und befreit sich, mit der Stimmen-Übertragung, die Seele aus ihrem Körper-Verlies, losgelöst im "übertragenen Sinne", wo bleibt die Person, wenn die Stimme aus dem Kehlkopf über Tonträgerköpfe aus dem Radio schallt, um ins Gehör - möglicherweise ihres Urhebers - zurückzugelangen, in Wahrheit zu sich selbst?

Sind denn jemals die O-Töne der Posaunen von Jericho oder des Rolandshorns Olifant in jemandes Eustachische Röhren gedrungen, beileibe, heute dürfte das eigentlich weder Wissenschaft noch Kunst umtreiben, zumal jenseits der alphabetischen Sprachen sich "Physikalistisches" begibt: Toningenieure sind heute die Stars, da Hauptsache zu sein scheint, daß Musik in Beine und Bauch geht und - idealistisch nach GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL - das in der Zeit erzitternde Subjekt packt oder - ideologisch nach KARL MARX - versteinerte Verhältnisse zum Tanzen bringt. Möchte man, wie einst JACOB BÖHME "De signatura rerum" grübelte, den "verborgenen Geist" der Welt nicht an ihrer Stimme und Sprache, die äußerliche "Gestaltniß" nicht am "Hall ihrer Worte" erkennen?

Die Dialoge seines nur mündlich lehrenden Meisters SOKRATES zeichnete schon PLATON in Büchern auf, zugleich sich originärer Einwände gegenüber dem "neuen Medium" der Schrift bewußt: Das Gedächtnis werde geschwächt, indem es sich auf "fremde Zeichen" stützen müsse. Die Schrift liefere nur stumme Texte, Worte ohne Stimme folglich, die uns Lesende um den durch Gehört-Gesprochenes erläuterten Sinn im Geschriebenen bringen; sie könne, anders als die mündliche Rede, ihr Publikum nicht gezielt ansprechen. Und durch die Abtrennung des Verfassers vom Sprachwerk überhaupt entsage das Geschriebene nolens volens dem verbindlichen Ernst der Autor-Person, notwendig und im Ungefähren sich abspielend. - Was spielt sich also alles ab, wenn heuer Dialoge vor Publikum dargeboten werden, mitgeschnitten für eine Sendereihe im kommenden Sommer?

Die vom Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) des Wissenschaftszentrums Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Zeitschrift für Literatur Schreibheft und dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) im Foyer des Museumszentrums der Stadt Essen - deren Ratsversammlung unlängst erst (da ohne konkrete "Fördermaßnahmen" offensichtlich nicht repräsentativ vermittelbar) eigens "die Schaffung eines literarischen Klimas" postuliert hat - veranstaltete Reihe "Korrespondenzen: Kunst und Wissenschaft im Gespräch - Dialoge über Schnittstellen literarisch-künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit" führt - in einer ersten "Sequenz" - von Januar bis Juni 1999 an sechs Mittwochabenden jeweils einen "Schriftsteller oder Künstler mit einem Kultur- oder Naturwissenschaftler" zusammen - mit der konzilianten Zielvorgabe: "... nicht Streit, sondern Gespräch"!

Als "Korrespondenzen"-Beteiligte und -Themen sind u. a. notiert: MARCEL BEYER ("Flughunde") und FRIEDRICH KITTLER ("Draculas Vermächtnis. Technische Schriften") zu "Synthesizing Voices - Stimmen über Musik", moderiert von WALTER VAN ROSSUM ("SIMONE DE BEAUVOIR und JEAN-PAUL SARTRE. Die Kunst der Nähe"); INGO SCHULZE ("Simple Stories"), BORIS GROYS ("Gesamtkunstwerk STALIN. Die gespaltene Kultur in der Sowjetunion") und EIKE GEBHARDT (Moderation, "Kreativität und Mündigkeit. Zum gesellschaftlichen Stellenwert kreativen Verhaltens") über "Die Literatur des Postkommunismus"; JOCHEN GERZ ("Mahnmale" gegen Faschismus und Rassismus) und RÜDIGER SAFRANSKI ("Das Böse oder Das Drama der Freiheit"), moderiert von ELKE SCHMITTER ("HEINRICH HEINE. Und grüß mich nicht unter den Linden. Ein Lesebuch"), bringen "Probleme der Darstellbarkeit im 20. Jahrhundert" zur Sprache; über "Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in Kunst und Kultur" tauschen sich TIMM RAUTERT ("Gehäuse des Unsichtbaren") und HARTMUT BÖHME ("Natur und Subjekt") aus, wiederum durch WALTER VAN ROSSUM moderiert; durch das Themenfeld "Gedächtnispolitik und Identität" lassen sich HERTA MÜLLER ("Hunger und Seide") und DAN DINER ("Das Jahrhundert verstehen. Eine universalhistorische Deutung") von EIKE GEBHARDT bugsieren; für BRIGITTE OLESCHINSKI ("Your Passport is not Guilty") und die Moderatorin LIANE DIRKS ("Und die Liebe? Frag ich sie. Die Geschichte der KRYSTINA ZYWULSKA") war bei Reihenbeginn zwar schon der Gesprächsstoff "Poesie und Prosodie - Über affektive Sprachverarbeitung und Dichtung" benannt, noch nicht aber das Dialog-Wunsch-Gegenüber. Denn, so die experimentierfreudige Konzept-Protagonistin HANNA LEITGEB vom KWI: "Wir haben Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler gebeten, sich selbst einen Gesprächspartner zu wählen, dessen Arbeit sie beeindruckt und zum Weiterdenken angeregt hat."

Um "inter-, wenn nicht trans- oder auch ultradisziplinäre" Dialoge ist es den Veranstaltern zu tun, um "außergewöhnliche Gesprächskonstellationen", von den zur öffentlichen "Diskurs"-Darbietung Gebetenen erhoffend, "sich für das vermeintlich Andere" zu interessieren und "sich dem scheinbar Entfernten" zu nähern - wohl in Zukunft-Werkstatt-Ambition: "Vertreter vielleicht unvereinbarer Disziplinen finden Schnittmengen gegensätzlicher Interessen, erklären dem Gesprächspartner die eigene Arbeit und verringern so auch die Kluft zwischen Kunst, Wissenschaft und Publikum." Ja, diese "Korrespondenzen"-Offerte will "Wege wechselseitiger Beeinflussung aufzeigen und mit dazu beitragen, die Grenzen der Disziplinen durchlässiger zu machen und der Selbstzentriertheit sowie dem Auseinanderdriften der künstlerisch-ästhetischen und der wissenschaftlichen Dialoge entgegenzutreten."

In Schreibheft-Kreisen wird sogar auf ein Korrespondenz-Niveau à la FRIEDRICH DEM GROSSEN und VOLTAIRE spekuliert, ein Hauch von "Gelehrtenrepublik" möge durchs ruhrländische Museum Folkwang wehen. -

"In the Ghetto", fantastisch und wirklich nicht virtuell, vor meinen Augen flimmert ein Videomitschnitt des rezenten Auftritts eines legendären KING, dessen bewegtes Leinwand-Bild, über zwanzig Jahre post mortem, mittels hinzugeschnittener Stimme vom Band, die Identität von Gestalt und Stimme gesellt sich, reanimiert, zu den ELVIS in dessen Lebzeiten live begleitenden Musikern, zum heutig abgetrennt und Revival-quicklebendig groovenden Grufti-Orchester, digitaler Technik sei Dank. Bald entsteigen allerlei Untote den Gefriertruhen des Schweigens, um durch Kulturzentren und Wohnzimmer, Hörsäle und Diskos zu geistern.

Fixes Umgehen mit fixiertem Ungefähren ist so aufregend. Menschen hören auf zu philosophieren, wenn sie den Sinn zu besitzen glauben - oder an ihm verzweifeln. Sicher, die Krise einer in Permanenz gedachten Zukunft-Werk-Statt, der traditionsreichen Philosophia perennis, resultiert aus der wissenschaftlich-industriellen Revolutionsgeschichte, die in ihrer Ge-samtbedeutung mit der Seßhaftwerdung und der Entstehung des Staates in Vergleich gezogen werden kann; sie begleitet die Durchbrechung des Intelligenzmonopols, welches jahrhundertelang der Klerus und daneben eine literarisch-ästhetisch geprägte Bildungsschicht innegehabt haben.

Immerhin, geschriebene "Colloquien" und "Gesprächsbüchlein" gehören zu unserer humanistischen und aufklärerischen Tradition, auch als literarische Grundlegung und Gestaltung des - nicht bloß dialogisch-dialektischen - Denkens, Lehrens und Erzählens. Wie ist "wirklich Geschehenes" wiedergebbar?

Ja doch, Künste und Wissenschaften üben sich in - teils desperat-disparaten - Versuchen, das, "was sich ereignet hat" beziehungsweise "was sich ereignen könnte", darzustellen. Rhythmus und Melodie, Gesang und Gebärde, musische und technische Künste, Theorie und Praxis der Wissenschaften - allesamt sind in mehr oder weniger mimetischer Emphase befleißigt, Wirklichkeiten, einander in vielgestaltig fingiert-fungierender Korrespondenz-Geselligkeit beispringend oder aufsitzend, zum Ausdruck zu bringen.

Was halten wir "Heutige" von der Utopie einer Taube, die glaubt, leichter fliegen zu können, wenn das Medium Luft verschwände? Die Erfindung des Alphabets ließ, wie gesagt, in PLATONS "Phaidros" den SOKRATES davor warnen, allzu sehr auf dieses neue Medium zu vertrauen und dabei das Vermögen unabhängiger Erinnerung zu vernachlässigen.

Der Passepartout zur Person-Entfaltung, zum von IMMANUEL KANT gezeigten "Ausgang" der Menschen aus ihrer "selbstverschuldeten Unmündigkeit", könnte dem Schlüssel zum Verständnis der animierenden chaotischen Attraktion gleichen, deren Schibboleth die Unvorhersagbarkeit ist. Man denke an das Kneten eines Teiges, der einen Tropfen Lebensmittelfarbe enthält. Nach nur zwanzigmaligem Ausrollen und Zusammenfalten des Teiges hat sich der Farbfleck auf mehr als das Millionenfache seiner ursprünglichen Länge entfaltet. -

Treff ich mit diesem Bild auf die längst gewitterte Kluft wechselseitigen Nichtverstehens zwischen zwei oppositionellen Kultursphären, die an den Menschen verschiedenartige normative Ansprüche stellen? Die Frage nach dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ist für den Naturwissenschaftler von der gleichen Relevanz wie für den Literaturwissenschaftler etwa die Frage "Haben Sie etwas von SHAKESPEARE gelesen?", ebenso wie dann die Frage "Was verstehen Sie unter Beschleunigung?" dem Niveau der Frage "Können Sie lesen?" entspricht. -

Im akzelerierenden Auseinanderdriften dieser sogenannten Zwei Kulturen liegt bekanntlich ein Hauptgrund auch für die extreme Pluralistik unserer Gesellschaft wie der expertokratischen Struktur zum Beispiel der Universitäten. Es muß also ein propädeutisches Vorhaben unserer offen und öffentlich gedachten Zukunft-Werk-Statt bleiben, beide Kulturen - innerkulturlich wie zwischenkulturlich - zu vernetzen, die wissenschaftlich-technische, die wir täglich erfahren, sowie die eben den Titel herkünftig-changierend für sich behauptende Hoch-, Spitzen-, Breiten-, Alltags-, Gegen- oder Sub-Kultur, an der eigenschöpferisch teilzuhaben ein viel erklärtes und gebotenes Bildungsziel ist.

Die Essener "Dialog"-Initiative bringt spannungsreich Diskurs-"Schnittstellen" zur Sprache. Laßt immherhin nach Wegen suchen, den Human Gap, den Bruch zwischen wachsender Komplexität und verkümmerndem Begreifen, zu überwinden! Fähigkeiten, die Fragen der Selbsterhaltung, des Friedens der Völker, der Gruppen und der einzelnen Menschen untereinander und mit der Natur produktiv zu lösen, sind zu entfalten und weiterzubilden durch innovatives und integratives Lernen. Wissen über Naturgesetzlichkeiten und Körperfunktionen, ihr Zusammenspiel und das Begreifen der Zusammenhänge wird durch selbsttätiges Erproben, durch die "Selbstwerkzeuglichkeit" des "aufrechten Gangs" wie der "begreifenden Hand" in unserer permanenten "Schule der Sinne" gewonnen.

Dem Entsinnlichungseffekt der elektronischen Datenverarbeitung, der Mensch-Maschine-Programme oder der Fernsehbilder, den informationstechnisch erzeugten "virtuellen Simulacren" und "Datenschatten" der gesellschaftlichen Wirklichkeit muß konkret wahrnehmbare Sinnlichkeit bewußt entgegengehalten werden. Wenn diese auch als real existierende potemkinsche Fassade immer wieder aufersteht aus Ruinen - wie genau beobachtet, so "zynisch" beschrieben -, so mag ein Autor, nach Meinung von BORIS GROYS, sich selbst als Teil derselben erweisen, gleichsam interface.

"Korrespondenzen"-Gegenstand sind eben in nuce alle "poetologischen" Komponenten: Der Urheber (Autor, Künstler); dessen Produktionsbedingungen; die Werke; die Beziehungen der synarchisch geschiedenen Künste und Wissenschaften untereinander; Bezugnahmen auf geschichtliche sowie gesellschaftliche Zusammenhänge; die Rolle der Leser, Betrachter und Zuhörer; Nutznieß, Verwertungspraxis und Vermittlungssysteme der "Produkte"; deren Wirkungsweisen und Auswirkungen. Sind Bücher tatsächlich als Produkt-Speicher veraltet in Anbetracht der allseits und zunehmend obwaltenden, von Insidern so apostrophierten "aleatorischen Kombinatorik von Operatoren, die Informationszustände transformieren"?

"Diese Grammophon-Nadel hier werden wir nun die Schädelnaht entlangführen. Wir sollten die Rille noch einmal von Blut säubern, damit die Nadel nicht in Mitleidenschaft gezogen wird", doziert es in MARCEL BEYERS postkafkaeskem Prosabuch "Flughunde" über eine - horribile dictu - "experimentelle und klinische Phonetik", und "Knochensummen" und "Schädelklang" erschallen durch "Elektroden, Verstärker und Lautsprecher":

"Soll dies tatsächlich das charakteristische Lautgeben meiner eigenen Schädelnaht sein. Das Urgeräusch?" Aber nein! BEYER, der sich bereits als "Ohratorien"- und "Sprechfolter"-Abenteurer versucht hat und auf dem Essener Podium mit waghalsiger Beiläufigkeit aus GOEBBELS’ Tagebüchern und HITLERS Tischgesprächen Einschlägiges zu "Stimmen" und "Lautsprechern" zu zitieren weiß, läßt einen von ihm "erfundenen" sadistischen Stimmenforscher, da dieser alptraumhaft selbst betroffen ist, aufwachen, denn "dieses Kratzen kommt von Taubenkrallen, die auf dem Fensterbrett herumtrappeln, sie wetzen sich an dem Metallbeschlag vor meinem Fenster ab, da sich die Taube nicht entscheiden kann, in welche Richtung sie auf die Straße hinuntersegeln soll".

In FRANZ KAFKAS "Strafkolonie" hatte der Kommandant einen Apparat konstruiert, der dem Delinquenten - diesem allein lesbar - die Schrift des Gesetzes in den Körper schreibt ... In seinen Studien habe er an KITTLER sein "Denken festgemacht", bekennt BEYER seine maßgebliche "Schnittstelle", eilends nachfügend, sein Schreiben sei allerdings keinesfalls purer "Theorie-Fortsatz" zu KITTLER.

Haben beim "Korrespondenzen"-Einstand der Medienwissenschaftler FRIEDRICH KITTLER hinter dem "Attillerie-Stigma von 1914" zugleich einen "Jahrhundertglücksfall" ausgemacht, indem seither mittels Tonträgern Stimmen "nur noch klingen und nichts mehr sagen" können wie zwischenzeitlich auch Archive - auf Schallplatten, Tonbändern, Disks - sich mit Stimmen von Toten füllen, und WALTER VAN ROSSUM besorgt eingeworfen, ob mithin nicht "die soziale Komplexität, die in Worten steckt, annulliert" werde, dann gibt sich DUB-Fan und SPEX-Autor BEYER hingerissen "auf Rhythmus aus": "Ich hör’s aber gern. Gibt’s durch Semantik-Einfluß eine friedliche Welt?"

VAN ROSSUM nennt BEYER einen "Botanisierer", ganz als ob dessen "Flughunde" sprachlich an ERNST JÜNGER, beispielsweise an "In Stahlgewittern" gemahnten, worin erst Lerchen das Täter-Ich "durch ihr Trillern" ärgern, alsbald aber "fremdartige Rufe und Schmerzensschreie" aufsteigen und diese "Stimmen an die Laute der Frösche" erinnern, "die man nach einem Gewitter in den Wiesen hört"?

Wo weiterhin, in herkömmlich narrativem Gestus und pseudo-publikumsbezogenem Habitus, Wirklichkeiten fiktiv vor-, Ereignisse frikativ auf- und Geschehnisse faktitiv nachgezeichnet werden, da scheinen - Geschichte bemäntelnd, Weltanschauung wienernd - unweigerlich die ad libitum perlende Ungleichzeitigkeit und die unfaßliche Vielgestaltigkeit in allem wirkmächtigen Sein abgeleugnet.

Sollen Künstler und Wissenschaftler wirklich, wie GROYS und sein Wunsch-Autor INGO SCHULZE einander zubilligen, cool in ihrer Schale bleiben und die alltägliche Affirmation gefälligst als Maske des Widerstands ausgeben? Kreativität und Fertigkeit, wissenschaftliche wie künstlerische, möchten sich freilich keineswegs in bloßem Abbilden und Nachmachen erschöpfen. Zumindest in unserer ungebundenen Vorstellung könnten doch alle Nachahmungen natürlicher und geschaffener Wirklichkeiten, die nach PLATON ja selbst schon Abbilder ewiger Urbilder darstellen, ihrem unablässigen Abklatschen von Abbildern von Abbildern und Haschen nach Schatten von Schatten von Schatten entrinnen durch - gewissermaßen "antisemantischen" - Mutsprung über Silbenwehen und Wortwurten auf ein zu großer Fahrt "mit menschhaltigem Fernziel" bereites Schiff namens "Experiment Welt". -

Kehr ich aus Buchstabenböen wieder ein in mein bekanntes virtuelles Bistro "Parloir", seh ich zwar soeben noch CHRISTA MAAR ("Envisioning Knowledge - Akademie zum Dritten Jahrtausend", Kongreß zur "Schnittstelle" Mensch-Maschine) und MADELEINE DE SCUDÉRY ("Les conversations sur divers sujets") mit FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK ("Die deutsche Gelehrtenrepublik", "Grammatische Gespräche") echauffiert davonsurfen, aber ERNST BLOCH mit JEAN PAUL noch animiert beisammensitzen, der jenem frohgemut vorschwärmt vom perpetuierlich mobilen "Leser-Macher", der am "Sprachgitter" auf Mitsprache, Zuspruch und Antwort hofft ...

Auskunft zum Planungsstand (Änderungen, Fortsetzung, Sendetermine usw.) der "Korrespondenzen"-Reihe erteilen:

KWI, Telefon 0201/7204-160;
"Schreibheft", Telefon 0201/778111;
WDR 3, Telefon 0180/5678333.


  • Von Gerd Hergen Lübben&nbsrgen Lübben  ("DIE ZEIT": "der Poet aus Essen") ist zuletzt erschienen: "Jahr um Jahr, Logorhythmen Verlies. Gedichte".